Reinhard Henkys

Gedenken an den Journalisten


Am 3. März 1960 „zelebrierte“ er im Souterrain der Evangelischen Akademie Bad Boll die „Analyse einer kirchenpolitischen Nachricht“. Wir saßen im 9. Lehrgang der Christlichen Presseakademie für den journalistischen Nachwuchs. Die kirchliche Begrifflichkeit, so lernten wir, habe der Journalist für die Welt zu übersetzen. Es komme aber nicht darauf an, das, was die „Kerngemeinde“ ausmacht, in die Welt hineinzutragen, sondern umgekehrt, die Welt in die Kerngemeinde zu holen. Reinhard Henkys, der am 11. Mai 76jährig starb, war seither vielen ein Nachrichtenvermittler und Lehrer in dieser Kunst. In Berlin hatte er Anfang der 50er beim „Kurier“ das journalistische Handwerk gelernt, bevor er in Düsseldorf und Bethel dem epd zu Diensten war. Mit Akribie hat er früh Fakten über Naziverbrechen zusammengetragen: 1961 die Schrift „War es wirklich so schlimm?“, 1963 im Auftrag der EKD das Standardwerk „Die Nationalsozialistischen Gewaltverbrechen – Geschichte und Gericht.“

Seit 1961 blieb er im politisch gebeutelten Berlin, und bald war er für Journalisten bei Presse, Funk und Fernsehen der gefragte Fachmann für sein (zweites) Thema: die Kirchen in der DDR. Seine sensiblen Bücher, die Zeitschrift „Kirche im Sozialismus“ und das Fach-Archiv waren bei Redaktionen und Publizisten aus nah und fern geschätzt.

Die kirchliche Wochenzeitung im westlichen Berlin war Anfang der 80er Jahre zwar deutschlandweit die auflagenkleinste, aber inhaltlich, dank der redaktionellen Leitung von Reinhard Henkys, ein Vorbild für größere. 1982 setzte er sich dafür ein, daß ein Verlag geschaffen wurde, der diese Zeitung trägt. Als wir 1985 in diesem (Wichern-)Verlag das Buch „So begann meine Nachkriegszeit“ erarbeiteten, bekannte der einst jugendliche Kriegsteilnehmer: Zwar habe er schon früh Zahlen, Fakten, Umstände der Naziverbrechen gekannt, aber erst spät sei ihm (durch eine Vorlesung von Romano Guardini) aufgegangen, daß Wissen und Begreifen zweierlei sei.

Der nüchterne Faktensammler tat auch in Zeiten kirchlicher Turbulenz unaufgeregt seine Arbeit und ließ andere ihre Pirouetten drehen. Loyal stand der Sohn aus einem Pfarrhaus zu seiner Kirche; als Journalist blieb er so distanziert, wie es sich für den Beruf gehört. Er kannte den Erwartungsdruck, kirchliche Verhältnisse schönzureden und gab dem nicht nach.

Für jeden halbwegs vernünftigen Vorschlag hatte er ein Ohr. Dabei ließ er Raum für die Eigenarten der Menschen in Gottes buntem Garten. So respektierte er, wenn einer ehrgeizig war; denn er wußte, daß der Mangel an Ehrgeiz das größere Übel wäre. Von schmierigen Bündeleien, die er in seiner Umgebung erlebte, hielt er sich fern. Er war keiner, der andere aus dem Boot schubste. Weil er sich für kurzsichtige Ziele nicht einspannen ließ, hatte er auch Gegner. Wenn ihm fachliche Anerkennung zuteil wurde, konnte er sich darüber freuen. Er wußte, daß sie ihm zusteht, aber er riß sich nicht darum. 1996 erhielt er den angesehenen Karl-Barth-Preis.

Als er Anfang der 90er mit seiner zweiten Frau, Ingrid Seeburg, in der Uckermark ein Bauernhaus herzurichten begann, rundete sich für ihn seine Zugehörigkeit zu einer Landschaft, die ihn an seine ostpreußische Kindheit und Jugend erinnert haben mag. Seine großzügige Einladung zu Sommerfesten, die über die Familie hinaus Nachbarn und Freunde, Kolleginnen und frühere Mitarbeiter einbezog, führte auch nach seinem Berufsleben Menschen zusammen. Aus seiner publizistischen Arbeit werden viele noch lange schöpfen. Und dabei hoffentlich auch seinen Wink hören: Daß Wissen das Begreifen nicht ersetzt.

Wolfgang Fietkau ist Journalist und war als Leiter des Wichern-Verlages langjähriger Partner von Reinhard Henkys.


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