Kopf hoch, ihr Turner, 2009

„Internationales Deutsches Turnfest“ in Frankfurt


Nun ist es in den Hintergrund getreten. Das vierfache „F“ für „frisch, fromm, fröhlich, frei“, das früher die Wimpel, Plakate und Logos der Turner übergroß zierte. Ohne die überall sichtbaren „F“s kam ein Turnfest noch in den 90er Jahren nicht aus. Auf diese vier Eigenschaften hatten sie sich verständigt, die Turner in deutschen Gauen. Zwar sind sie noch immer in Gauen organisiert, aber manche Patina ist im Laufe der Zeit doch abgeblättert. Und als Patina empfinden sie offenbar auch das Frommsein.

Immerhin, wenn sie Ende Mai, wohl zu hunderttausend und mehr, in Frankfurt am Main aufmarschieren, enthält die aktuelle Hymne für dieses Treffen 2009 den alten Wahlspruch noch einmal. „Wir drehn die Welt“ heißt es im Refrain des Turnfestsongs, „von Osten nach Westen, alles zählt, gemeinsam am besten. Wir sind hier – frisch, fromm, fröhlich, frei. Wir schlagen Brücken, und du bist dabei.“

Das Deutsche Turnfest hat etwa die Dimensionen eines Kirchentages. Auch die einbezogenen großen Hallen, sowie Fahnen und Fröhlichkeit lassen auf ein vergleichbares Ereignis schließen. Eine „Losung“ gibt es ebenso. Sie heißt „Wir schlagen Brücken“. Sogar die Kirchentagsidee „Markt der Möglichkeiten“ findet sich 2009 bei den Turnern: Die Turnfest-Messe, von der es heißt „macht alles möglich“. Daran wird deutlich, daß beide zwar etwas für das Gemüt bieten, Kirchentag und Turnfest, der Kirchentag darüber hinaus aber auch geistige Substanz. Damit ist das Turnfest so üppig nicht bestückt. Da machte man, so scheint es, mit dem Motto schon mal eine Anleihe bei der Tourismuswerbung, obwohl doch eine Parole wie „Kopf hoch“ ebenfalls passend und so etwas wie eine turnerische Zeitansage sein könnte. Von Aufschwung und anderen Anzüglichkeiten gar nicht zu reden.

Gesund und biegsam

Zwar gibt es beim Turnfest wieder eine „Akademie“, aber dort laufen Workshops in großer Zahl immer wieder darauf hinaus, was man mit dem menschlichen Körper, vorausgesetzt er ist gesund und biegsam, so alles anstellen kann. Er darf jung sein, der Körper, etwa die Hälfte der Teilnehmenden ist unter 30; er darf älter sein oder alt, je etwa ein Viertel der Teilnehmenden gehört in die Altersgruppen bis 50 und über 50. Da ist im Plan der „Akademie“ von Wellness, Fitneß, Aerobic und Dancing die Rede. Doch deutsches Turnen läßt sich durch den inflationären Gebrauch englischer Wörter nur vermeintlich modernisieren. Wie aber Menschen mit Behinderungen in die Turnergemeinschaft integriert werden können, sucht man im Akademie-Programm vergeblich.

Was dem Kirchentag die Posaunen, sind dem Turnfest die Spielmannszüge. Eine große Zahl von „Turnermusikern“ ist beteiligt. Mit Trommeln und Pfeifen nämlich, aber auch mit Blechmusik, die auf Straßen und Plätzen – hier nicht vom „Posaunenchor“ sondern von der „Blaskapelle“ gemacht wird.

Ökumene im Turnanzug

Auch so etwas wie „Ökumene“ tritt nun im Turnanzug an: „Erstmals in der Geschichte der Turnfeste“, so der Turnerbund, waren 2005 in Berlin ausländische Teilnehmer und gar gleich aus 33 Ländern eingeladen. Obwohl auch zu früheren Turnfesten durchaus internationale Gäste erschienen. Zeit wurde es ja, denn das Turnen war von seinem Ursprung her ein teutsches Unternehmen. Als Turnvater Jahn 1811 in der Berliner Hasenheide einen damals neuartigen „Turnplatz“ einrichtete, da galt vor allem zweierlei: Turnen ist deutsch, und Turnen ist männlich. Doch die Zeiten ändern sich und manche alten Zöpfe sind auch bei den Turnern gefallen. zugute halten kann man der Bewegung, daß sie Standesunterschiede eingeebnet hat. Auch dem Titel ihres Treffens merkt man die Mühe an, vom betont Vaterländischen wegzukommen. Doch „Internationales Deutsches Turnfest“ ist schon ein merkwürdiger Spagat.

Für den Außenstehenden sind Turnen und Sport schwer voneinander zu unterscheiden. Sport ist, man braucht nur an die Sportschau zu erinnern, die eben keine Turnschau ist, weitaus populärer. Aber inzwischen holen die Turner auf: Sie reden von Turnsport. Also kann man Turner auch Sportler nennen. Aber umgekehrt? Darüber haben Turner und Sportler lange debattiert. Irgendwie kommt uns das bekannt vor. Handelt es sich womöglich um zwei Konfessionen? Ein Turner hat den Unterschied einmal so definiert: „Turnen ist Sport mit Herz“, womit er auf eine gewisse familiäre Gemütlichkeit anspielte. Es gibt noch eine andere Unterscheidung: Turner üben, Sportler trainieren.

Vom Reck weg ins Gefängnis

Turnen war einmal gefährlich: Friedrich Ludwig Jahn, Pfarrersohn und Schüler des Berliner Gymnasiums zum Grauen Kloster, wurde 1819 wegen „demagogischer Beeinflussung der Jugend“ verhaftet, das Turnen in Preußen unter staatliche Kontrolle gestellt. Der „Turnvater“ bekam zwei Jahre Festungshaft und wurde erst 21 Jahre nach seiner Verhaftung vollständig rehabilitiert.

Nun können sie sich in Frankfurt wieder biegen und wiegen, die Turnerinnen und Turner. Sie reden sich sogar als Turnschwestern und Turnbrüder an, nicht immer und nicht in allen Jahrgängen gleichermaßen. Aber vielleicht ist in dieser Anrede noch ein Rest von jener Frömmigkeit, die im deutschen Turnwesen einmal zu den tragenden Idealen gehörte. Turnvater Jahn hatte, bevor er die Muskeln auspackte, Theologie studiert. Zum Fest in Frankfurt gehört nun auch ein „Ökumenischer Gottesdienst“, zu Pfingsten um 11 Uhr auf dem Frankfurter Römerberg.

Wolfgang Fietkau


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