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Nachwort zur Anthologie „Doch von oben kommt er nicht“, Andere Gedichte zur Weihnachtszeit. Peter Hammer Verlag, Wuppertal 2000.
1965 erschien die Gedichtsammlung „Thema Weihnachten“, die, seit 1970 erweitert, in wenigen Jahren, vier Auflagen erreichte. Dieses Buch hat seinerzeit aus mehreren Gründen Furore gemacht. Einerseits war hier zum ersten mal ein zentrales christliches Thema von Autoren mit einer bis dahin nicht gekannten Respektlosigkeit angegangen. Zum anderen enthielt die Sammlung, eine Voraussetzung des Vorgenannten, einen so hohen Anteil von Erstdrucken, wie er für thematisch geprägte Lyrikanthologien selten ist. Ähnlich freche Sammlungen folgten andernorts, so „Stille Nacht allerseits“, herausgegben von Uwe Wandrey, 1972 bei Rowohlt, oder 1984 „Freue dich, o Christ und Heid“ von Leckhart Pillick in der Freireligiösen Verlagsbuchhandlung.
Seit „Thema Weihnachten“ erschien kaum irgendwo in deutscher Sprache eine Textsammlung mit Weihnachtsliteratur, die nicht in irgendeiner Weise diese Sammlung angezapft hat, teils mit, teils ohne Hinweis auf die Erstveröffentlichung der entnommenen Texte. Inzwischen sind diese entnommenen Texte ihrerseits schon von entnommenen Texten entnommen. Also kann man das Buch doch gleich noch einmal auflegen.
Weil immer wieder danach gefragt wurde, entschlossen Verlag und Herausgeber sich, eine Neuausgabe zu machen. Aber nicht einfach mit der alten Sammlung; denn manches darin war deutlich zeitbezogen. Das Rezept sollte nun sein: bewährte Texte wieder hineinnehmen und neue hinzutun. So sind hier wieder auch Autoren vertreten, die nicht regelmäßig mit den christlichen Themen befaßt sind und nun eben auch ihr Weihnachtsgedicht schreiben. Eingereiht sind also Autoren, die sich wohl erst etwas zugeredet haben, um dieses Thema überhaupt aufzugreifen, weil sie für solche Anlässe eigentlich gar nicht zuständig sind.
Das Thema ist noch längst nicht „abgearbeitet“. Was heißt es, wenn jüdische Freunde mir regelmäßig ein gutes Weihnachtsfest wünschen? Was tut sich im Dezember bei mir in Haus und Straße? Was hat als Eindruck aus der letzten Festzeit bei mir überwintert, als vorausschauende Beklemmung oder Erwartung sich festgesetzt?
Was die heutige Sammlung von der damaligen unterscheidet, ist auch dies: Waren es damals Texte der letzten Jahre, sind es heute Texte der letzten Jahrzehnte. Willkürlich - muß man das erwähnen? - ist so eine Auswahl allemal. Auch der äußere Rahmen ist nicht randscharf. Die Texte entstanden in den letzten fünfzig Jahren. Es gibt Ausnahmen: Wie Ringelnatz seinen Einsiedler Weihnachten feiern läßt (möglicherweise das älteste Gedicht in dieser Sammlung) ist so anrührend heutig, daß ich darauf nicht verzichten wollte. Dieser Text ist uns in der Zwischenzeit, wie mir scheint, näher gerückt, und deshalb hier im Angebot.
Ein Angebot - das sind diese Texte zu einer heiklen Jahreszeit. Sie mögen Freude, auch Wiedersehensfreude, oder Zorn auslösen, Vergnügen bereiten und Stirnrunzeln. Viele eignen sich zum Vortrag oder leben dann erst auf, wenn sie laut und vor andern gesprochen werden. Die Texte von Ernst Jandl und Helmut Heissenbüttel sollten dafür gehörig geübt werden. Jandl wurde hier 1965 als ein weitgehend Unbekannter mit seinen ungewöhnlichen Beiträgen im Erstdruck vorgestellt; und wenige Wochen vor dem Erscheinen dieser Neuausgabe starb er nun als einer der großen zeitgenössischen Poeten - zwischen der alten und dieser Neuausgabe liegt also, wenn man die Verbindung der beiden Ausgaben mit dem Poeten Jandl als Meßlatte nimmt, eine Zeitspanne, die eine ganze Generation von Literaten umschließt. Einige Themen, die, ein Tribut an die politische Tagesaktualität, in der „alten“ Sammlung dominierten, konnten hier etwas knapper gehalten werden. Dazu gehören „Vietnamkrieg“, „die Mauer“ und „Gleichgewicht des Schreckens“. Sie spielen, wie andere Bezüge zur Geschichte, in der Literatur nun eine andere Rolle und müssen heute nicht so stark besetzt sein wie ehedem. So wurde Platz für Texte, die nachgewachsen sind.
Was war und ist denn nun „anders“ an dieser Gedichtsammlung? Worin unterscheiden sich diese Gedichte von der großen Zahl einschlägiger Verse zu jener Jahreszeit, die noch immer, wie seit vielen Jahrhunderten den Winter in der Weise markiert, daß es von da ab wieder aufwärts geht mit dem Tageslicht? Diese Sammlung nimmt Zeitgenossen ernst. Nicht nur jene Gesinnungsgenossen, die das, was wir schon immer wußten, noch einmal ein bißchen anders sagen. Diese Sammlung nimmt alle Fraktionen ernst, die Liebhaber der Folklore ebenso wie die Spötter, die Prediger ebenso wie jene, die verachtend und anklagend auf die Prediger zeigen. Gerade bei ihnen ist oft deutlich, wie tief sie darüber enttäuscht sind, daß Prediger und Fußvolk der Christenheit so bitterwenig von dem umgesetzt haben und umsetzen, was sie da seit vielen Jahrhunderten, nicht nur zu Weihnachten, immer wieder feiern. So ist letzten Endes gerade denen, die am meisten „dagegen“ sind, am deutlichsten bewußt, was dieses Fest „eigentlich“ sein sollte.
Geblieben sind die Themen Kaufrausch und Konsum und ihre Verknüpfung mit dem folkloristischen Teil dieses winterlichen Festes. Andererseits, das sagt nun ein Herausgeber, der inzwischen ebenfalls ein paar Jahrzehnte älter ist: Warum schämen wir uns eigentlich für den folkloristischen Teil dieser Fete und ihrer Vorbereitungen? Haben wir nicht, wenn wir in andere Länder kommen, einen Blick und ein besonderes Interesse für Folklore? Wieso soll das in diesem Lande eher peinlich sein? Was hat denn ein Zugereister, ein Moslem, ein Jude, wenn er ebenso an fremder Folklore interessiert ist, von hier zu berichten? Nehmt es locker mit dem, was ihr einen oberflächlichen „Trubel“ nennt. Und vergnügt euch, so oder so, an diesen Gedichten.
© Wolfgang Fietkau
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